Wissenswert

Nachhaltigkeit & duale Transformation in Südtirol

Interview mit Prof. Erwin Rauch, Professor für Nachhaltige Produktion, Freie Universität Bozen

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind die Innovationstreiber des 21. Jahrhunderts. Wie wirkt sich die duale Transformation auf die Südtiroler Wirtschaft aus?

Die Kombination von Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Betrieb wird sich für Südtirols Wirtschaft als großer Hebel für mehr Wettbewerbsvorteil offenbaren. Die Technologieführerschaft vieler heimischer Unternehmen basiert aktuell noch vielfach auf einem Vorsprung in klassischer Produktgestaltung und Qualität. In den kommenden Jahren wird sich dies sehr stark wandeln. Neben diesen Aspekten wird sich Innovation und Marktvorsprung vor allem durch die Digitalisierung von Produkten, Herstellprozessen oder die Schaffung digitaler Geschäftsmodelle manifestieren. Gleichzeitig strebt die EU mit dem European Green Deal neben Klimaneutralität das Ziel an, in Europa die Führerschaft in sauberen und nachhaltigen Technologien und Dienstleistungen zu übernehmen. Dies stellt für viele bestehende Unternehmen, aber auch für die Start-Up Szene in Südtirol eine große Opportunität dar. Gleichzeitig ist ein Wandel am Finanz- und Käufermarkt zu erkennen. Nachhaltige Unternehmen haben nicht nur Vorteile in der Finanzierung, sondern können ihre Produkte häufig aufgrund eines niedrigeren ökologischen Fußabdrucks einer wachsenden und sensiblen Käuferschicht anbieten.

 

Seit Jahren forschen Sie an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wie hängen diese zusammen?

Man könnte sagen, dass Digitalisierung zum einen sicher einen großen Hebel in Richtung Effizienzsteigerung darstellt. Gleichzeitig bildet die Digitalisierung aber auch völlig neue Möglichkeiten zur Gestaltung von nachhaltigeren Wertschöpfungskreisläufen. Unter Nachhaltigkeit verstehen wir das Streben nach einer ausgewogenen, enkeltauglichen Entwicklung, welche ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt. Digitalisierung kann uns dabei helfen dieses höher liegende Ziel zu erreichen. So bezeichnet der aus Japan stammende Begriff „Society 5.0“ eine Gesellschaft, welche durch Digitalisierung menschzentrierter und nachhaltiger wird. In Society 5.0 werden Technologien genutzt, um Herausforderungen wie Umweltverschmutzung, demografischer Wandel, Energieeffizienz und gesellschaftliche Ungleichheiten zu meistern. Es wird angestrebt, Technologien so zu gestalten, dass sie das tägliche Leben der Menschen verbessern und gleichzeitig negative Umweltauswirkungen minimieren. Neben den vielen Vorteilen der Digitalisierung müssen wir uns aber auch mit sich negativ auswirkenden Aspekten wie dem steigenden Energieverbrauch durch digitale Technologien auseinandersetzen.

 

Wie wird ihrer Meinung nach der Megatrend Nachhaltigkeit von den Südtiroler Unternehmen derzeit wahrgenommen?

Mit der Übernahme des neuen Lehrstuhls für Nachhaltige Produktion an der Fakultät für Ingenieurwesen habe ich viele Gespräche mit lokalen Betrieben geführt, um den aktuellen Stand der Unternehmen sowie ihre Bedürfnisse hinsichtlich Nachhaltigkeit besser zu verstehen. Dabei war ich immer wieder überrascht, wie offen und proaktiv die Unternehmen dem Thema gegenüberstehen. Dies ist aus ökologischer Sicht sicher der Naturverbundenheit des Südtirolers der Südtiroler/innen an sich geschuldet und aus sozialer Sicht der Tatsache, dass die lokalen Betriebe häufig Familienbetriebe sind, welche der Ressource Mensch im Betrieb einen hohen Stellenwert einräumen. Die Bereitschaft in nachhaltigere Prozesse und Strukturen zu investieren ist groß. In den üblichen Fällen ist das Thema Chefsache, was auch in der Wahrnehmung seitens der Mitarbeiter/innen wiederum eine enorme Motivation auf allen Unternehmensebenen erzeugt. Natürlich kommt hinzu, dass Nachhaltigkeit bezahlbar sein muss und ein Unternehmen wirtschaftlich nicht schwächen, sondern stärken sollte. Etwas besorgt sehen die Unternehmen allerdings die aktuellen Entwicklungen hinsichtlich Berichterstattung zur Nachhaltigkeit. Der Fokus sollte auf der Umsetzung von Maßnahmen liegen und nicht im „Schmücken“ mit Zertifikaten und seitenstarken Nachhaltigkeitsberichten.   

Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile für Unternehmen, wenn sie Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen umsetzen?

Die grundlegenden Vorteile im Unternehmen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Wettbewerbsvorteil, Kostenersparnis, mehr Resilienz, Mitarbeiterattraktivität und attraktive Finanzierungsmöglichkeiten. Durch nachhaltige Produkte mit geringem ökologischem Fußabdruck erreiche ich neue wachsende Käuferschichten sowie einen Vorteil gegenüber anderen Marktbegleitern. Vor allem im Bereich der Energieeffizienz und -versorgung verbergen sich große Vorteile auch auf Kostenseite, wodurch ein Betrieb auch einen nicht unerheblichen geldwerten Vorteil erzielt. Bestrebungen und Investitionen in die eigene Produktion von Energie, in zufriedene Mitarbeiter/innen und lokalen Wirtschaftskreisläufen machen uns unabhängiger von externen Einflüssen und daher resilienter. Was ich in Gesprächen mit meinen Student/innen immer wieder erkenne, ist, dass Unternehmen besonders dann für junge Talente attraktiv und anziehend sind, wenn sowohl das Produkt als auch die Unternehmenskultur nachhaltig gestaltet sind. Schlussendlich erhalten nachweislich nachhaltige Unternehmen auch leichteren Zugang zu attraktiven Finanzierungsangeboten.

 

Welche Maßnahmen können Unternehmen ergreifen, um die Digitalisierung und Nachhaltigkeit in ihrem Betrieb zu fördern?

Das ist stark davon abhängig wie weit das Unternehmen bereits mit der Einführung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit ist. Grundlegend ist es von Bedeutung jemanden zu benennen, um diese Themen im Betrieb zu adressieren und einzuführen. Es sollte also einen Beauftragten für Digitalisierung und Nachhaltigkeit geben. Je nach Größe des Betriebs können die Aufgaben auch auf zwei Personen verteilt sein. In einem nächsten Schritt gilt es Bewusstseinsbildung zu erzeugen und Mitarbeiter/innen beispielsweise durch Weiterbildung zu sensibilisieren. Es sollte ein Status-Checkup folgen, in welchem erhoben wird, was das Unternehmen bereits zur Digitalisierung und zur Nachhaltigkeit umgesetzt hat und wo man noch Lücken aufweist. Diese Lücken sollten dann als Maßnahmen in einen Strategie- und Umsetzungsplan münden, welchen das Unternehmen dann Schritt für Schritt umsetzt. Dies kann die Eigenproduktion von Energie sein, wie durch eine PV-Anlage, oder der Investition in Wärmerückgewinnung aus energiezehrenden Prozessen, als auch die Einführung von digitalen Energiemonitoringsystemen oder der Umgestaltung von Arbeitsplätzen für mehr Inklusion im Büro oder produzierendem Bereich.

 

Autor: Prof. Erwin Rauch, Professor für Nachhaltige Produktion, Freie Universität Bozen

Wirtschaftsingenieur, Unternehmensberater, Inhaber der neuen Stiftungsprofessur für Smarte und Nachhaltige Produktion an der Freien Universität Bozen im NOI Techpark Bruneck, Leiter Smart Mini Factory, Forschungsleiter verschiedenster Projekte, u.a. zur Umsetzung von Industrie 4.0 in KMU, Südtiroler Forschungspreis 2019, als Experte Mitglied in verschiedenen Verbänden und Organisationen (Associate Member EuroScience, World Manufacturing Forum), Autor.

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